Wo der Mensch anfängt, hört die Maschine auf?

Mensch und Maschine verschmelzen zu einer Einheit – und das nicht nur im übertragenen Sinne. Schon heute ist es möglich, das Gehirn mit Maschinen zu verbinden. Unter anderem Facebook will neuroelektrische Schnittstellen in den Alltag aller Menschen integrieren. Das wirft grundlegende rechtliche Fragen auf.

Ein Artikel von Wiebke Fröhlich

Lange wurden Maschinen als reine Werkzeuge des Menschen betrachtet. Nur Menschen haben Rechtspersönlichkeit, nur sie gelten als verantwortungsfähig und autonom. Doch die ursprünglich klare Grenze zu den von ihnen geschaffenen Hilfsmitteln löst sich zunehmend auf. Moderne Technik dringt immer tiefer in persönlichste Lebenssphären ein und übernimmt sogar unmittelbar körperliche Funktionen. Eine Schlüsselrolle spielen maschinelle Systeme, die über neuroelektrische Schnittstellen mit dem Körper verschmelzen. Solche Brain-Computer-Interfaces (BCI) ermöglichen es, Informationen direkt zwischen dem Gehirn und einem technischen Schaltkreis zu übertragen. Während ableitende Schnittstellen elektrische Signale vom menschlichen Nervensystem an das Gerät senden, wirken stimulierende Schnittstellen auf den Körper ein. BCI ermöglichen es schwergelähmten Personen, sprach- und bewegungsunabhängige zu kommunizieren – allein durch Hirnaktivitäten, also Gedanken. Modelle mit stimulierenden Schnittstellen senden elektrische Signale direkt an das zentrale Nervensystem. Solche „Hirnschrittmacher“ können Parkinsonkranken und schwer depressiven Menschen zu einem weitgehend symptomfreien Leben verhelfen.

Zwischen Vision und Wirklichkeit

Während BCI bisher überwiegend im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen, wollen Technikpionierinnen und -pioniere die Innovation in den Alltag integrieren. Geht es nach den Vorstellungen der Firma Neuralink von Elon Musk, lassen sich Maschinen in Zukunft allein durch Gedanken steuern. Umgekehrt sollen Menschen Informationen und Fähigkeiten direkt aus dem Internet in ihr Nervennetzwerk einspeisen können. Auch Facebook forscht an einer Technik, die Gedanken unmittelbar an einen Computer sendet. In einigen Jahren soll es möglich sein, einhundert Worte pro Minute ohne jegliche Muskelbetätigung zu „schreiben“.

Nach überzeugenden Einschätzungen sind Visionen wie das Hochladen von Daten ins Gehirn, Gedächtnisuploads oder Gedankenlesen zwar spekulativ. Doch Prothesen, die Bewegungsabsichten aus Muskelsignalen herauslesen, sind bereits heute medizinischer Standard. Auch die Steuerung externer Geräte, beispielsweise Drohnen, mittels Gehirnaktivitäten wird seit Jahren erprobt. Die Kombination moderner Neurotechnologie mit Künstlicher Intelligenz erschwert aber zunehmend, eine klare Grenze zwischen agierender Person und Hilfsmittel zu ziehen. In letzter Konsequenz ist nicht mehr eindeutig, ob der Mensch die Maschine steuert oder umgekehrt.

Herausforderungen für die Rechtsordnung

Wenn sich die Dichotomie von Mensch und Maschine auflöst, geraten wesentliche Eckpfeiler unserer Rechtsordnung ins Wanken. Besonders deutlich wird das, wenn eine gesunde Person ihren Körper mit einem BCI verbindet, um leistungsfähiger zu sein (BCI-Enhancement). Soll es jedem Menschen freistehen, die eigenen kognitiven, mentalen und physischen Fähigkeiten über die Grenzen des Natürlichen hinaus zu erweitern und zu beeinflussen? Ist eine derartige Verschmelzung gesellschaftlich wünschenswert und ethisch vertretbar? International führende Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler sehen solche Fragen auf uns zukommen. Sie fordern ethische und rechtliche Richtlinien für den Einsatz von BCI.

Das deutsche Grundgesetz geht vom Grundsatz der Autonomie aus – und damit von der grundsätzlichen Freiheit jeder Person, zu tun und lassen was sie will. Die Freiheit ist die Regel, die Beschränkung die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Das gilt insbesondere hinsichtlich der selbstbestimmten Entscheidung eines Menschen, die eigenen Fähigkeiten technisch zu erweitern. Ethische und philosophische Bedenken als solche vermögen staatliche Regulierung jedoch nicht zu legitimieren. Restriktionen selbstbestimmten Verhaltens sind nur zulässig, soweit sie einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sind. Das Freiheitsinteresse der Person, die ihren Körper mit Technik verbinden will, ist gegen Argumente abzuwägen, die gegen eine derartige Verschmelzung sprechen.

Selbstbestimmung als Grenze staatlichen Handelns

Als Zweck eines Eingriffs in die freie Entscheidung für ein BCI-Enhancement kommen Grundrechte Dritter, Belange der Allgemeinheit sowie der Schutz Betroffener vor sich selbst in Betracht. Kann sich die künstliche Hand etwa verselbstständigen und andere Personen schlagen, ist ein Verbot naheliegend. Schwieriger wird die Abwägung, wenn von der technischen Erweiterung keine Gefahren für Rechtsgüter Dritter ausgehen. Als Rechtfertigungszweck kommen dann Interessen der Allgemeinheit in Betracht, wie Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und Solidarität mit Schwächeren.

Zudem ist ein operativer Eingriff ins Gehirn mit erheblichen Risiken verbunden. Dennoch wird es Personen geben, die eine Todesgefahr in Kauf nehmen und sich einen Chip einpflanzen lassen. Muss der Staat seine Bürgerinnen und Bürger vor solchen Risiken schützen? Aus der medizinischen Praxis ist bekannt, dass der langfristige Einsatz eines Hirnschrittmachers zu Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Der bereits enhancten Person mag egal sein, dass der Preis für ein gesteigertes Erinnerungsvermögen der Verlust jeder Empathie ist. Doch hätte sie vor dem Eingriff wirklich in Kauf genommen, dass sich Freunde und Familie von ihr abwenden? Liegt dann noch eine selbstbestimmte Entscheidung vor?

Staatspflichten an den Grenzen der Selbstbestimmung

Hinter den angerissenen Konflikten steht die Frage nach der Legitimität eines paternalistischen Staates: Darf er vormündig entscheiden, was „gut“ und „richtig“ ist? Oder muss er dulden, dass sich eine Person irreversiblen Behandlungen unterzieht und sie später eventuell bereut? Antworten setzten Überlegungen voraus, die über die Kriterien von „Selbstbestimmung“ bis hin zu Zweifeln an deren Existenz reichen.

Solche philosophischen und psychologischen Grundlagenfragen kann die Rechtswissenschaft nicht abschließend beantworten. Die Voraussetzungen für eine „selbstbestimmte Entscheidung“ muss sie dennoch deklinieren – und dabei multidimensionale Problemkomplexe berücksichtigen. Neben den angesprochenen Persönlichkeitsveränderungen ist denkbar, dass ein faktischer Zwang zum BCI-Enhancement entsteht. So könnten Personen ohne BCI auf dem Arbeitsmarkt perspektivisch chancenlos sein. Wem die Mittel zur Finanzierung eines BCI-Enhancements fehlen, wird der Zugang zum Arbeitsmarkt (weiter) verwehrt. Ein solches Szenario treibt einen Teufelskreisel an, der sich bereits heute dreht: Wer in wirtschaftlich und sozial benachteiligten Verhältnissen aufwächst, hat unter anderem schlechte Bildungschancen und kaum Aussicht auf wirtschaftlichen Aufstieg.

Physische und psychische Integrität

Die technische Erweiterung des menschlichen Körpers fordert darüber hinaus den grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz heraus. Namentlich kann ein Zugriff auf ein BCI die physische und psychische Integrität verletzen. Je nach Einzelfall sind nahezu alle Grundrechte betroffen, die spezifisch die Integrität des Menschen schützen, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie dessen besondere Ausprägungen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Mit dem Vordringen der Technik in den menschlichen Körper stellt sich die Frage, wo das informationstechnische System anfängt und der Mensch aufhört. Sind BCI-Elemente menschliche Körperteile? Oder handelt es sich dabei um Sachen – die in wessen Eigentum stehen? Wem stehen Haftungsansprüche zu und wann liegt eine Körperverletzung, wann eine Sachbeschädigung vor?

Erhebliche persönlichkeitsrechtliche Relevanz haben auch die Daten, die im Zusammenhang mit BCI entstehen. Hirnaktivitäten können Auskunft über Zustände wie Stress und Entspanntheit geben. Solche Informationen schützt das geltende Recht als personenbezogene Daten. Traditionell ging man jedoch davon aus, dass „Vorgänge im Kopf“ für die Außenwelt allenfalls mittelbar zugänglich (bspw. über Rückschlüsse aus Handlungen) und nur begrenzt schutzbedürftig sind. Abgesehen von psychischem Druck lag es in der Macht der bzw. des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Informationen aus dem Inneren nach außen dringen. Die Entwicklung ableitender sowie stimulierender BCI stellt jedoch infrage, ob der Schutzanspruch auch adäquat ist. Aufgrund der Persönlichkeitsnähe von Gehirndaten könnten rechtliche Grundsätze zu entwickeln sein, die BCI-Daten besonders schützen.

Potentiale und Konsequenzen

Freilich birgt die Entwicklung neuer Techniken auch Chancen. BCI können Benachteiligungen nicht nur verstärken, sondern auch ausgleichen. Menschen mit eingeschränkten körperlichen Möglichkeiten könnten ebenso leistungsfähig sein, wie Personen ohne Beeinträchtigung. Etliche weitere mögliche Vorzüge von BCI-Enhancement ließen sich aufführen. Doch wer bestimmt, wann der Ausgleich von Unterschieden eine positive Befähigung ist? Unterschiede sind nicht per se schlecht. Vielmehr prägen sie den Charakter einer jeden Person. Und kann nicht nur frei sein, wer wirklich er oder sie selbst ist?

Sicherlich ist eine Welt, auf der die Menschen mit Computerchips im Gehirn herumspazieren, bislang reine Zukunftsmusik. Doch die Wissenschaft sollte sich schon heute mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen. Gerade Juristinnen und Juristen bietet sich hier (noch) die Gelegenheit, der technischen Entwicklung einmal nicht hoffnungslos hinterherzuhinken. Konzeptionelle Blicke in die Zukunft helfen zudem, bestehende Grundsätze zu reflektieren und überkommene rechts- und sozialpolitische Annahmen zu überdenken.

Hinweis: Der Artikel erscheint unter der Creative Common Lizenz CC BY-NC-ND.

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  • Wiebke Fröhlich

    Wiebke Fröhlich ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie lehrt und forscht zu den Grundlagen des Datenschutzrechts.

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Wiebke Fröhlich ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie lehrt und forscht zu den Grundlagen des Datenschutzrechts.