Haftung und Regress im Zeitalter automatisierter Fahrzeuge

Die Einführung selbstfahrender Fahrzeuge auf unseren Straßen wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Eine besondere Herausforderung stellt die Haftung bei Unfällen dar. In der Praxis werden es – wie bei herkömmlichen Fahrzeugen – in erster Linie Versicherungen sein, die Schadensfälle abwickeln. Haben Dritte zum Unfall beigetragen, muss die (vor-)leistende Versicherung auch auf sie zurückgreifen können. So sollte der Gesetzgeber gerade auch die Hersteller automatisierter Fahrzeuge angemessen in das künftige Haftungsregime einbeziehen – etwa für den Fall, dass ein Fehler der Steuerungssoftware zu einem Unfall beigetragen hat. Nur unter Beteiligung der Fahrzeugindustrie lässt sich eine effiziente Kostenverteilung erreichen.

Ein Artikel von Prof. Dr. iur. Melinda F. Lohmann

Nach heutiger Gesetzeslage in der Schweiz steht der Regress auf haftpflichtige Dritte, also etwa auf den Hersteller eines fehlerhaften Fahrzeugs, nicht allen Versicherern umfassend offen. Bemerkenswert ist deshalb die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichts: Sie hat die Regressposition des Eigenschadenversicherers erheblich verbessert. Es ist zu hoffen, dass das Gericht damit den Grundstein für eine grosszügigere Handhabung des Versicherungsregresses gelegt hat: Dem Versicherer könnte künftig ein umfassendes Rückgriffrecht gegen sämtliche Haftende zustehen, wie dies im Rahmen der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vorgesehen ist.

Rechtsökonomische Sicht

Aus rechtsökonomischer Sicht wird dann eine sinnvolle Kostenverteilung erreicht, wenn der Verursacher die Kosten der Schädigungen trägt. Der Regress der Sozialversicherung und der Eigenschadenversicherung auf die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung ermöglicht es, die Kosten auf den Verursacher umzulagern: Die Versicherung wird nur durch die jeweilige Risikogruppe finanziert und steht im direkten Kontext der Verkehrsaktivität. Liegt die Ursache des Unfalls in einem Produktfehler, man denke etwa an defekte Sensoren, drängt sich die weitere Umlagerung der Kosten auf den Hersteller auf. Bei genauem Hinsehen verhindert eine restriktive Regresspraxis also faktisch eine effiziente Kostenverteilung.

Ein umfassendes Rückgriffrecht auf haftpflichtige Dritte legen auch Überlegungen zur optimalen Zuweisung des Automatisierungsrisikos nahe: Das Automatisierungsrisiko soll nicht die Versicherungsgemeinschaft der Sozial- und/oder Eigenschadenversicherung tragen, sondern auch die Versicherungsgemeinschaft der Halter selbstfahrender Fahrzeuge bzw. deren Hersteller. Der Halter zieht den Nutzen aus dem Betrieb des automatisierten Fahrzeugs. Zudem kann er Risikofaktoren wie das Modell, die Art, Länge und Häufigkeit des Einsatzes kontrollieren und etwa durch sorgfältige Inspektion und Wartung eindämmen. Der Hersteller wiederum profitiert vom Verkauf der Produkte und kann das Risiko durch eine sichere Ausgestaltung, Herstellung und engmaschige Kontrolle und Beobachtung der Produkte beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kann der Geschädigte nach heutiger Gesetzeslage einerseits gegen den Halter, andererseits aber auch gegen den Hersteller vorgehen.

Auch im Interesse des Geschädigtenschutzes scheint die Belastung des pflichtversicherten Halters mit dem Automatisierungsrisiko sinnvoll: Geschädigte sollen sich gestützt auf die Halterhaftung in einem unkomplizierten und raschen Verfahren an den leistungsfähigen Haftpflichtversicherer halten können. Hingegen wäre ein Produkthaftungsverfahren des Geschädigten (d.h. eine Klage auf Schadenersatz gegen den Hersteller für Schäden, die ein fehlerhaftes Produkt bei ihm verursacht hat) aufwändig: Es ist dem Geschädigten nicht zumutbar, die Kosten für ein solches Verfahren vorzustrecken und das Erfolgsrisiko zu tragen. Ausserdem werden Versicherer Regresse infolge von Synergieeffekten kostengünstiger und effektiver austragen können.

Aktuelle Reformbestrebungen in Europa

Auch auf europäischer Ebene wurde der Geschädigtenschutz mehrfach hervorgehoben, bspw. im Rahmen einer automatisierungsbedingten Gesetzesrevision in Grossbritannien. Dort sollen selbstfahrende Fahrzeuge bereits 2021 zum Einsatz kommen. In Vorbereitung auf die Markteinführung hat der britische Gesetzgeber den geltenden Rechtsrahmen überprüft und ein Automated and Electric Vehicles Bill entworfen. In Grossbritannien knüpft die Versicherungspflicht traditionell grundsätzlich an den Fahrzeuglenker an. In Zukunft soll sich der Versicherungsschutz im Interesse des Verkehrsopfers auch auf den automatisierten Fahrmodus erstrecken; hier bestünde andernfalls mangels menschlichen Lenkens eine Versicherungslücke. Der Geschädigte soll primär gegen den Versicherer („insurer“) und subsidiär gegen den Halter („owner“) vorgehen können. Eine zwangsläufig zeit- und kostenintensivere Produkthaftungsklage will das neue Gesetz dem Geschädigten aber gerade nicht zumuten; stattdessen erwähnt es explizit die Rückgriffmöglichkeit des Versicherers gegenüber dem Hersteller im Falle eines Produktfehlers.

Auch in Deutschland ist über die Stellung des Geschädigten im Lichte der Fahrzeugautomatisierung eine Diskussion entbrannt: Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat im Zusammenhang mit der Änderung des deutschen StVG  davor gewarnt, Ansprüche der Verkehrsopfer auf Produkthaftungsansprüche gegen den Hersteller zu beschränken. Der deutsche Gesetzgeber hat in seiner Novelle die Halterhaftung nicht angetastet, so dass sich diese Diskussion erübrigt hat. Im Übrigen ist der Regress des Haftpflichtversicherers gegenüber dem Fahrzeughersteller in Deutschland nach geltendem Recht möglich, wenn beim Unfall ein Versagen des technischen Systems vorliegt.

Schadensbeteiligung des Herstellers bei automatisierten Fahrzeugen?

Auch wenn vor allem Argumente des Geschädigtenschutzes dafür sprechen, die Halterhaftung im Kontext der Fahrzeugautomatisierung beizubehalten, drängt sich eine Schadensbeteiligung des Herstellers via Regress der Versicherer auf. Drohten dem Hersteller – als Letztem in der Regresskette – faktisch keine Regressklagen, gäbe es keine Anreize dafür, ein optimales Sicherheitsniveau zu wählen. Zwar dürften Hersteller bereits aus Reputationsgründen ein Interesse an der Produktion möglichst sicherer Produkte haben. Auch deshalb ist es durchaus denkbar, dass sie zur Produktverbreitung freiwillig anbieten, eine umfassende Haftung zu übernehmen. Gegen eine Haftungsverlagerung auf den Hersteller spricht auch nicht das Risiko, dass die Produktion automatisierter Fahrzeuge in der Folge ganz unterbleibt. Denn die Einführung automatisierter Fahrzeuge ist kein Selbstzweck; es ist Aufgabe des demokratischen Gesetzgebers, die soziale Nützlichkeit dieser Technologie zu gewährleisten.

Der Hersteller wird aber auch in Zukunft nicht zwangsläufig für jeden automatisierungsbezogenen Unfall haften – sondern nur dann, wenn der Nachweis der Haftungsvoraussetzungen gelingt und weder Entlastungsgründe vorliegen (etwa weil der Fehler erst entstanden ist, nachdem das Produkt in den Verkehr gelangt ist) noch die Einrede der Verjährung greift. In diesen Fällen ist es auch im Rahmen der Fahrzeugautomatisierung gerechtfertigt, den Hersteller für die Schäden eines Verkehrsunfalls in die Verantwortung zu ziehen.

Bei einer rechtsicheren Ausgangslage kann der Hersteller seine Haftungsrisiken kalkulieren und sich versichern. Oftmals wird der Hersteller die entstandenen Kosten zwar auf seine Kunden überwälzen wollen. Dadurch entsteht aber nicht zwingend eine Markteintrittsbarriere für automatisierte Fahrzeuge. Vielmehr ist zu erwarten, dass das Haftungs- bzw. Regressrisiko des Herstellers (und entsprechend der Preisaufschlag) beim sichersten Fahrzeug am geringsten sein wird. Dagegen ließe sich einwenden, dass die Produktion von sicheren, automatisierten Fahrzeugen kostenintensiver ist, was wiederum zu insgesamt teureren Produkten führt. Allerdings dürfte die Zahlungsbereitschaft der Käufer angesichts der Sicherheitsgewinne und weiterer Vorteile der Technologie nicht zu unterschätzen sein.

Insbesondere die neu geschaffenen Freiräume, die dadurch entstehen, dass der Fahrer nicht mehr aktiv auf den Verkehr achten muss, lassen sich finanziell abbilden: Wer täglich eine Stunde im Fahrzeug verbringt, gewinnt auf das Jahr gerechnet 15 Tage hinzu, was bei einem Stundenansatz von 50 EUR auf eine Summe von 18’000 EUR hinausläuft. Hinzu kommt, dass die Versicherungsprämien für Halter künftig sinken dürften, da sich das Haftungsrisiko für sie verringert. Dadurch lassen sich mögliche Aufschläge bei den Prämien mitunter kompensieren. Abschliessend ist in einer Kostenabwägung jedoch ebenso zu berücksichtigen, dass der Einzelschadenaufwand aufgrund der in automatisierten Fahrzeugen verbauten, kostenintensiven Technik eher steigen wird. Bei einer Beschädigung des automatisierten Fahrzeuges werden die Reparaturkosten also in der Regel deutlich höher sein als bei herkömmlichen Fahrzeugen.

Fazit

Auch künftig werden es vor allem Versicherer sein, die Schadensfälle im Straßenverkehr abwickeln. Die Frage nach deren Regressmöglichkeiten gegenüber haftpflichtigen Dritten stellt sich deshalb auch mit Blick auf die Fahrzeugautomatisierung. Damit die Beteiligten ihre Haftungsrisiken einschätzen und einkalkulieren können, drängt sich jedoch eine klare und rechtsichere Regressregelung auf. Klare regulatorische Rahmenbedingungen befördern dann die laufenden Innovationprozesse. Gleichzeitig ermöglicht ein umfassendes Regressrecht eine gesamtwirtschaftlich effiziente Kostenallokation. Mit der zunehmenden Bedeutung unfallursächlicher Produktfehler müssen die Hersteller automatisierter Fahrzeuge – sofern eine Regressmöglichkeit offensteht – dann aber auch bei insgesamt rückläufigen Unfallzahlen mit einer Erhöhung ihres Haftungsrisikos rechnen. Damit verbindet sich jedoch keine umzumutbare Belastung für die unternehmerische Freiheit: Nicht nur profitieren die Hersteller in erheblichem Masse von der Vermarktung ihrer innovativen Produkte, sondern sie können mögliche Risiken auch durch eine sorgfältige Produktentwicklung und -beobachtung minimieren.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des in der schweizerischen Zeitschrift Haftung und Versicherung (HAVE) 3/2018 erschienen Artikels der Autorin.

Der Artikel erscheint unter der Creative Common Lizenz CC BY-NC-ND.

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  • Melinda F. Lohmann

    Prof. Dr. Melinda F. Lohmann ist Assistenzprofessorin für Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht an der Universität St. Gallen und Direktorin des Forschungszentrums für Informationsrecht.

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Prof. Dr. Melinda F. Lohmann ist Assistenzprofessorin für Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht an der Universität St. Gallen und Direktorin des Forschungszentrums für Informationsrecht.