SmartLaw, oder: Wie wird der BGH das Rechtsdienstleistungsgesetz auslegen?

Zu den unter der Flagge „Legal Tech“ angepriesenen Geschäftsmodellen steht das nächste höchstrichterliche Urteil an: Nach dem Grundsatzurteil zur „lexfox“ im vergangenen Jahr, das sich mit der Reichweite der Inkassoerlaubnis beschäftigt hat, wird der BGH im kommenden Jahr über den Dokumentengenerator „smartlaw“ befinden. Der Beitrag fasst die tragenden Gründe der instanzgerichtlichen Entscheidungen zusammen und hat den anstehenden BGH-Prozess im Blick.

Ziele und Systematik des RDG

Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) dient ausweislich seines § 1 Absatz 1 Satz 2 dem Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen. Hingegen stellt der Schutz der Anwaltschaft vor nichtanwaltlicher Konkurrenz einen bloßen Rechtsreflex und kein legitimes Ziel des Gesetzes dar.

Zur Gewährleistung einer hohen Qualität sind außergerichtliche Inkassodienstleistungen registrierten Inkassodienstleistern und (andere) Rechtsdienstleistungen zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vorbehalten.

Inzidentkontrolle über das UWG

Der Dokumentengenerator „smartlaw“ wird von der Wolters Kluwer Deutschland GmbH angeboten. Da jene nicht als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen ist, ist ihr die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen untersagt. Der Begriff der Rechtsdienstleistung wird in § 2 Absatz 1 RDG legaldefiniert als „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.“

Verstöße gegen das RDG sind als solche nicht justiziabel, mithin können Mitbewerber und Rechtsanwaltskammern einen Unterlassungsanspruch nicht isoliert auf das RDG stützen. Stattdessen müssen sie einen Umweg über das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) einschlagen: Verstöße gegen das RDG stellen zugleich unlautere geschäftliche Handlungen im Sinne des UWG dar. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hat die Anbieterin des Dokumentengenerators „smartlaw“ daher auf Unterlassung nach dem UWG in Anspruch genommen. Entscheidungserheblich ist dabei freilich allein die Qualifikation der Tätigkeiten der Beklagten als Rechtsdienstleistung.

Differenzierung zwischen dem Dokumentengenerator als solchen und dessen Bewerbung

Wichtig ist nun im Ausgangspunkt zwischen dem Dokumentengenerator als solchem, also dem Programmcode, und der Produktdarbietung im Internet zu differenzieren. Allerdings kann die Produktdarbietung im Ergebnis doch Auswirkung auf die Frage der Klassifikation des Dokumentengenerators als Rechtsdienstleistung zeitigen. Nachdem das LG Köln mit Urteil vom 8.10.2019 (Az.: 33 O 35/19) sowohl die Produktpräsentation wie auch den Dokumentengenerator als solchen für unzulässig eingestuft hatte, änderte die Anbieterin die Produktpräsentation ab und nahm in der mündlichen Berufungsverhandlung ihren Klageabweisungsantrag hinsichtlich der Klage auf Unterlassung der streitgegenständlichen Produktpräsentation zurück. Das OLG Köln gab daraufhin der auf den Dokumentengenerator als solchen beschränkten Berufung statt und sah jenen als erlaubnisfreie technische Dienstleistung an (Urteil vom 19.6.2020, Az.: 6 U 263/19). Im Folgenden soll der Prozessgang näher betrachtet werden.

Streitgegenstände vor dem LG Köln

Das LG Köln befand unter anderem folgende Werbeaussagen als insgesamt irreführend: “Individueller und sicherer als jede Vorlage und günstiger als ein Anwalt” und “Rechtsdokumente in Anwaltsqualität – unser Portfolio umfasst mehr als 190 Rechtsdokumente und Verträge jedes einzelne unserer Dokumente können Sie mit unserem individuellen Frage-Antwort-Dialog in wenigen Minuten selbst erstellen. All das ganz ohne juristisches Know-how – denn das haben wir: In Zusammenarbeit mit unseren Rechtsexperten – allesamt Profis auf ihren Gebieten – haben wir den Erstellungsprozess so gestaltet, dass er dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt nachempfunden ist“.

Im Hinblick auf die Frage, ob der Dokumentengenerator als solcher unter den Rechtsdienstleistungsbegriff zu subsumieren ist, war das Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit einer rechtlichen Prüfung“ entscheidungserheblich. Die Erforderlichkeit ist nicht rein objektiv zu bestimmen, sondern richtet sich auch nach der Verkehrsanschauung und erkennbaren Erwartung der Rechtsuchenden. Das Landgericht argumentierte (zutreffend), dass Rechtsuchende aufgrund obiger Werbeaussagen die berechtigte Erwartung hätten, für ihr Entgelt ein Rechtsdokument zu erhalten, das auf ihre konkreten individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist und über die schematische Anwendung von Rechtsnormen hinausgehe. Die Dienstleistung wurde somit erst durch die Produktdarbietung zur Rechtsdienstleistung.

Änderung der Produktdarbietung und Beschränkung der Berufung vor dem OLG Köln

Inzwischen hatte die Beklagte ihre Produktpräsentation geändert. Der Verfasser dieses Artikels hat die Website mitsamt der AGB am 29.8.2019 ausgewertet. Zu diesem Zeitpunkt wurden die geistigen Tätigkeiten des Internetnutzers in den Vordergrund gestellt. Die Anbieterin suggerierte nicht (mehr), selbst eine rechtliche Einzelfallprüfung vorzunehmen, sondern lediglich den Dokumentengenerator bereitzustellen, mit dem sich der Internetnutzer selbst bedienen könne.

Folgerichtig hat die Anbieterin in der mündlichen Verhandlung am 15.5.2020 die Berufung gegen die Verurteilung zur Unterlassung obiger Werbeaussagen zurückgenommen.

Weil die Dienstleistung aber erst durch jene Werbeaussagen zur Rechtsdienstleistung erkoren wurde, erachtete das Berufungsgericht den Dokumentengenerator als solchen (zutreffend) für eine erlaubnisfreie technische Dienstleistung im Rechtsmarkt.

Folgerung und Ausblick

Die Urteile des Landgerichts und Oberlandesgerichts liegen in summa auf der gleichen Linie: Soweit in der Literatur und Internetblogs behauptet wird, dass die Eingangsinstanz den Dokumentengenerator für unzulässig erachtet hat, während ihn die Berufungsinstanz für zulässig befand, ist dies richtig. Falsch ist jedoch, darin eine Divergenz der Rechtsprechung zu erkennen. Jene Stimmen berücksichtigen bei der Analyse der Urteile nicht die Beschränkung der Berufung und Änderung der Produktdarbietung im Internet.

Dokumentengeneratoren beruhen auf regelbasierten Algorithmen, die eine vorprogrammierte determinierte Baumstruktur abarbeiten. Die tatsächliche Subsumtionsarbeit findet stets in der geistigen Sphäre des Nutzers statt. Dokumentengeneratoren als solche stellen somit in keinem Fall eine erlaubnisbedürftige Rechtsdienstleistung dar. Vielmehr lassen sie sich erst in der Kombination mit Werbeaussagen unter den Rechtsdienstleistungsbegriff subsumieren. Die Folge davon ist nahezu zwangsläufig ein unerwünschtes case law. Für einen über die (aktuelle) Produktdarbietung von „smartlaw“ hinausgehenden Distinktionsgewinn könnte der BGH lediglich ein obiter dictum verfassen.

Die technischen Veränderungen durch Legal Tech müssen indessen im Gesetz normativ rezipiert werden. Einzig dieser Weg bietet den benötigten systematischen Ansatz. Der Autor unterbreitet in seinem aktuellen Buch einen ausformulierten Gesetzgebungsvorschlag.

Daniel Timmermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Legal Tech an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat im September 2020 das Grundlagenwerk “Legal Tech-Anwendungen – rechtswissenschaftliche Analyse und Entwicklung des Begriffs der algorithmischen Rechtsdienstleistung“, 740 Seiten, Nomos 2020 veröffentlicht.

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Daniel Timmermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Legal Tech an der Humboldt-Universität zu Berlin.