Interview zu Comic “KI, wir müssen reden!”

Das Thema Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Es beschäftigt nicht nur Informatiker und Softwareschmieden, sondern nauch Philosophinnen, Soziologen, Juristinnen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Weltweit ringt auch die Politik damit, neue Technologien zu verstehen, ihre Wirtschaftsstandorte für die Potentiale der KI zu rüsten und potentielle Gefahren regulatorisch einzuhegen. Nur wenige Expertinnen und Experten geben sich zugleich die Mühe, ihr Wissen allgemeinverständlich oder gar humorvoll unter die Leute zu bringen. Mit ihrem Comic “We need to talk, AI” geht Dr. Julia Schneider einen anderen Weg: Sie verbindet Kreativität, Fachwissen und Präzision, um ein breites Publikum über das Thema KI zu informieren. Unser Redakteur Michael Kolain hat mit ihr über ihren frei zugänglichen Comic-Essay gesprochen.

Liebe Frau Schneider, wie kam es zu der Idee, einen Comic über Künstliche Intelligenz zu verfassen?

Bei meiner letzten Anstellung als Senior Data Scientist in einer Data Science Firma hatte ich viel Kontakt zu technikfernen Kunden, mit denen ich mögliche Anwendungsfälle für algorithmische Unterstützung (landsläufig KI) suchte. Dabei habe ich gemerkt, wie fern vielen Konzepte, Chancen und Risiken dieser Technologien sind. Auch im privaten Umfeld ist mir das aufgefallen. Und tatsächlich habe ich privat schon lange Comics erstellt. So kombinierte ich diese beiden Interessen – und dachte erst: Was für eine exotische Idee!

Was fasziniert Sie am Thema KI besonders? Was haben Sie herausgefunden, was bislang vielleicht noch nicht so intensiv diskutiert wird?

Am meisten bewegt hat mich tatsächlich die Frage der fehlenden Nachhaltigkeit bzw. unglaublichen Ressourcenintensität von KI. Dafür brauchen wir eine Lösung. Wir sollten unser energiesparsames eigenes Denkorgan für soviele Anwendungsfälle wie möglich nutzen, und herausfinden, wobei uns KI am besten nutzen kann. Was ich auch spannend fand, war die Forschung zu den KI-Wintern, also der regelmäßig auf Hypes folgenden öffentlichen Enttäuschung zu KI. Das geht ja auch anderen Technologien so – und das wird uns meines Erachtens bald wiederpassieren, wenn wir den Over-Hype nicht kritisch begleiten.

Wie war die bisherige Resonanz auf Ihr Buch? Gab es Reaktionen, die Sie besonders gefreut haben?

Ehrlich gesagt, bin ich sehr erfreut, überrascht und auch oft gerührt über die vielen positiven Reaktionen auf weneedtotalk.ai weltweit. Ich denke, am stärksten bewegt war ich in dem Moment, als ich die ersten Downloads aus Südafrika hatte. Fragen Sie mich nicht warum, vielleicht weil ich noch nie dort war und es geografisch so weit weg ist – ich habe bei der Entstehung des Comics, der ja cc-lizenziert ist (also zum nicht-kommerziellen kostenlosen Download berechtigt) immer gesagt, dass ich so gern hätte, wenn Menschen weltweit den Comic lesen und sich darüber ihre Gedanken machen könnten – auch in Südafrika. Und dann war das nach wenigen Wochen der Fall – und ich habe mich sehr, sehr gefreut. Daher ist der Originalcomic auch auf englisch, um möglichst viele Menschen dazu einzuladen, sich an einer Debatte um nachhaltig nützliche KI für alle zu beteiligen.

Auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene sind zahlreiche Kommissionen tätig, um ethische und rechtliche Rahmenbedingungen für KI zu erarbeiten. Beobachten Sie die Entwicklung und was ist Ihr Eindruck?

Tatsächlich gibt es sehr viele Menschen in allen möglichen Zusammenhängen, die sich mit KI beschäftigen. Auch in der Zivilgesellschaft ist das Thema zum Glück inzwischen angekommen. Und das finde ich sehr gut. Schade finde ich, dass viel parallel gearbeitet wird und aus sehr viel Arbeit in den Kommissionen zum Teil wenig Zielführendes resultiert. So darf die deutsche KI-Enquete-Kommission derzeit ihre Ergebnisse ja fürs Erste nur in Auszügen veröffentlichen. Das wirkt nicht wie eine offene politische Diskussionskultur. Was mir gut gefällt, ist die Datenvisualisierung von https://ai-hr.cyber.harvard.edu/, die 32 Prinzipien nebeneinander darstellt, die einen Vergleich zwischen den KI-Bemühungen von Regierungen, Unternehmen, Interessengruppen und Multi-Stakeholder-Initiativen ermöglichen.

Angenommen Sie wären EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – welche regulatorische Maßnahme würden Sie im Hinblick auf KI in Ihren ersten 100 Tagen als erstes anstoßen?

Ich plädiere für eine enge Verzahnung von Fachleuten, Zivilgesellschaft und Politik, um das Potenzial von KI zu untersuchen, Chancen zu identifizieren und Risiken zu minimieren. KI-Strategien sollten nicht den Unternehmensberatungen überlassen werden, so kompetent sie an anderer Stelle sein mögen, und auch nicht den Militärs. Europas unique selling point könnte eine KI des Datenschutzes, der Diversität, der Nachhaltigkeit und der Offenheit sein. Und: ich bin für konkrete Regulierungen, nicht nur für Eigenverpflichtung.

Von der Gegenwart in die Zukunft: Schwebt Ihnen eine eher utopische oder eher eine dystopische Vision von KI vor?

Utopisch. Die KI gibt uns die Möglichkeit, uns als Menschen in ihrem Menschsein, ihren Zielen, ihren strukturellen Ungleichheiten und ihren politischen Entscheidungsprozessen zu hinterfragen und neu, vielleicht gerechter, zu denken. Das ist eine große Chance. Ich hoffe, eine ausreichend große Anzahl anderer Menschen finden das auch und kooperieren in dieser Richtung.

Wie sieht ein digitales Deutschland im Jahre 2050 aus? Welche Rolle spielt KI und wie gehen wir Menschen mit den neuen Technologien um?

Zu Prognosen, die länger als 5 Jahre dauern, kann ich Ihnen keine seriöse Aussage machen. Aber aus Spaß: wir haben viel Zeit, uns zu verwirklichen, KI ergänzt uns sinnvoll, Ressourcenfragen sind zum Glück gerade eben gelöst, es gibt Kinder, und Tiere.

Vielen Dank für das Interview!

Dr. Julia Schneider ist Autorin und u.a. Mitglied im wissenschaftlichen Ausschuss des VDEI Verbandes der Exoskelettindustrie e.V. und Advisor des Track Teams Science and Technology der re:publica. Sie promovierte in VWL an der Freien Universität Berlin mit mikroökonometrischen Evaluationen der Arbeitsmarktreform 2005. Danach arbeitete sie als Forscherin und Beraterin im Bereich der empirischen Arbeitsmarkt- und Innovationsforschung und als Senior Data Strategist. “We Need to Talk, AI” ist ihre erste Comic-Publikation. Derzeit arbeitet sie zum Thema “Financial Literacy 5.0”. 

Der Comic-Essay ist per Download oder im Softcover erhältlich.

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