Legal-Tech-Unternehmen im Visier des Rechtsdienstleistungsrechts

Legal Tech ist in aller Munde. In manchen Bereichen geht die Technik schon so weit, dass Software Rechtsberatung bieten kann – eine Tätigkeit, die bisher üblicherweise Rechtsanwälten vorbehalten war. Viele Bürger freuen sich über die neuen Möglichkeiten, durch die sich ihr Zugang zum Recht vereinfacht. Doch Legal-Tech-Anwendungen lösen auch Probleme mit dem Rechtsdienstleistungsrecht aus. Wo beide aufeinandertreffen, kann man von einer unglücklichen Ehe sprechen: sie gehören zusammen, doch so richtig vertragen tun sie sich nicht. Aber der Reihe nach…

Ein Artikel von Julius Remmers, LL.M. (Edinburgh)


Unter den Begriff „Legal Tech“ fallen unterschiedliche Formen der Automatisierung juristischer Arbeitsabläufe durch „intelligente“ Software. Doch wie fügen sich konkrete Anwendungsformen in den rechtlichen Rahmen für Rechtsberatung ein? Der Zweck des Rechtsdienstleistungsrechts ist in erster Linie, die Verbraucher vor unqualifizierter Rechtsberatung zu schützen. Wenn sich ein Bürger bei mietrechtlichen Fragen etwa von einem Zahnarzt rechtlich beraten lässt, läuft er eher Gefahr, eine schlechtere und unsaubere juristische Rechtsberatung zu erlangen, als wenn er einen Anwalt fragt. Vor diesem Hintergrund regelt das deutsche RDG, dass das Erbringen außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen grundsätzlich verboten und nur aufgrund von Erlaubnistatbeständen nach dem RDG oder anderen Gesetzen – wie beispielsweise der BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung), der PAO (Patentanwaltsordnung) oder dem StBerG (Steuerberatungsgesetz) – zulässig ist (sog. Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt).

In anderen Ländern ist das anders: Zum Beispiel darf in den Niederlanden jedermann – unabhängig von seiner beruflichen Qualifizierung – Rechtsdienstleistung erbringen. Länder, wie Großbritannien mit seinem Legal Services Act, ordnen sich zwischen Deutschland und den Niederlanden ein. Aber zurück zum unglücklichen Ehepaar…

 

Neue Wege der Rechtsdienstleistung

Bei vielen Legal-Tech-Unternehmen stellt sich in Bezug auf das Rechtsdienstleistungsrecht die Frage, ob sie unzulässige Rechtsdienstleistungen erbringen. Unsicherheit besteht etwa für Firmen wie Flightright, myRight, rightmart oder wenigermiete.de.
Um den Einstieg zu erleichtern, zunächst ein Beispiel: Der von Herrn Müller gebuchte Flug wurde kurzfristig storniert und nun möchte er gegen die Fluggesellschaft vorgehen. Wenn er seine Rechte nicht ohne fremde Hilfe durchsetzen möchte, hat er drei Optionen:
1. Er mandatiert einen Rechtsanwalt.
2. Er fragt einen Freund, der beispielsweise Jura studiert, um unentgeltlichen Rechtsrat.
3. Er tritt seine Ansprüche an ein Legal Tech-Unternehmen ab bzw. bevollmächtigt es dazu, seine Rechte durchzusetzen.

Nimmt man das Ziel des Verbraucherschutzes, das hinter dem RDG steht, ernst, ist man bei der zweiten Option versucht, die Stirn zu runzeln: Ein befreundeter Jurastudent ist üblicherweise weniger qualifiziert und bietet weniger Schutz als ein Rechtsanwalt oder die Rechtsabteilung eines Legal-Tech-Unternehmens. Allerdings erlaubt das deutsche Rechtsdienstleistungsgesetz eine Rechtsberatung im zweiten Fall (2. Option) sowie in Verbindung mit der BRAO auch im ersten Fall (1. Option).

Der dritte Fall (3. Option) verdeutlicht hingegen das grundsätzliche Problem – und zwar dann, wenn man eine Brücke von der Rechtsdienstleistungserbringung zu Legal Tech schlägt. Denn es waren vor allem bestehende Defizite des Rechtsschutzes, die dazu geführt haben, dass sich immer mehr Legal-Tech-Unternehmen mit dem Schwerpunkt der Rechtsdurchsetzung auf dem Markt positioniert haben. Viele Bürger sind bei Rechtsproblemen oftmals aus finanziellen Gründen wenig gewillt, einen Anwalt aufzusuchen (und nicht jeder hat rechtskundige Freunde). Sie folgen dabei dem Gedanken, dass sich ein Rechtsstreit nicht „lohnt“, wenn der Streitwert im Vergleich zu den Kosten der Rechtsverfolgung zu gering ist. In Fachkreisen spricht man von einem „rationalen Desinteresse“. Hinzu kommt, dass sich bei vielen Streitigkeiten selten Anwälte finden lassen – denn die Anwaltsgebühren orientieren sich am Streitwert, der in diesen Fällen regelmäßig gering ausfällt.

„Legal Tech-Rechtsdienstleistung“ auf dem Prüfstand

Bei der Frage, ob für Legal Tech-Unternehmen eine Erlaubnis für zulässige Rechtsdienstleistung vorliegt, wird bereits unterstellt, dass Legal Tech-Unternehmen überhaupt Rechtsdienstleistungen erbringen. Die spannende Frage ist jedoch vorgeschaltet. Sie lautet: Sind Dienstleistungen von Legal Tech-Unternehmen als (un-)zulässige Rechtsdienstleistung gemäß des RDG zu verstehen (siehe zum Beispiel die Darstellung einer detaillierten Prüfung einer Rechtsdienstleistung von Schwintowski und Remmertz)?

Rechtsdienstleistung unter dem RDG ist „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert“. Aus dem Anwendungsbereich fallen bereits Personen heraus, die allgemeine Rechtsinformationen oder Rechtstipps zur Verfügung stellen – wie zum Beispiel die folgende Rechtsinformation auf der Website wenigermiete.de: „Damit Sie im Falle einer Mietminderung keine Kündigung riskieren (schließlich kann sich am Ende herausstellen, dass die Mietminderung zu hoch angesetzt oder gar nicht gerechtfertigt war), sollten Sie sicherheitshalber die volle Miete unter Vorbehalt des Mietmangels zahlen“. Auch Plattformen, die einen Rechtsanwalt vermitteln, wie advocado oder anwalt.de, üben an sich – ohne Anwendung eines Algorithmus, der den geschilderten Sachverhalt analysiert und auf bestimmte Fachanwälte verweise – keine Rechtsdienstleistung aus.

Schwieriger zu behandeln sind jedoch Online-Plattformen, die den Sachverhalt eines Nutzers auf mögliche Ansprüche überprüfen, und sich diese im Anschluss abtreten lassen oder vom Nutzer bevollmächtigt werden, seine Rechte durchzusetzen. Im Hinblick auf die 3. Option, könnte das Vorgehen wie folgt aussehen: Herr Müller gibt die relevanten Daten zur Flugstornierung auf einer Plattform eines Legal Tech-Unternehmens, wie Flightright oder EUflight.de, ein und tritt seine Ansprüche gegen die Fluggesellschaft an dieses Legal Tech-Unternehmen ab, bzw. bevollmächtigt es zur Durchsetzung seiner Forderungen. Ist die Prüfung des Sachverhalts von Herrn Müller nun eine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten mit einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls?

Mit Blick auf die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Rechtsdienstleistung, ist die „Tätigkeit“ und die „rechtliche Prüfung des Einzelfalls“ nicht ganz unproblematisch. Denn wenn eine Software mithilfe von Algorithmen überprüft, ob die Sachverhaltsangaben einen Anspruch auslösen, stellt sich die Frage, ob überhaupt jemand tätig wird und eine rechtliche Prüfung vornimmt. So könnten sich Personen ohne Rechtsberatungserlaubnis hinter einer Software „verstecken“, um mit ihr Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Insofern kann auch eine Software „tätig“ werden. Es lässt sich auch gut argumentieren, dass eine Software eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls vornimmt, da mit der Eingabe der Daten des Nutzers jedes Mal im Einzelfall geprüft wird, ob der Nutzer anspruchsberechtigt ist.Aber selbst, wenn man eine der Voraussetzungen verneinen würde, könnte die Rechtsdienstleistung als Inkassodienstleistung zu verstehen sein, d.h. als die „Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird“. Wenn man diese Definition auf solche Online-Plattformen anwendet, müsste man konsequenterweise annehmen, dass Legal-Tech-Unternehmen, wie Flightright oder EUflight.de, Inkassodienstleistungen ausführen. Solange solche Unternehmen eine Inkassoerlaubnis haben (zu finden im Rechtsdienstleistungsregister), können sie auch zulässige Rechtsdienstleistungen erbringen.

Dass sich die klassische Inkassotätigkeit durch Tätigkeiten von Legal Tech-Unternehmen verändert hat, machen nicht nur die Ausführungen von Martin Hensslers in der Neuen Juristischen Wochenschrift deutlich (NJW 2019, 545). Mittlerweile beschäftigt die Frage auch die Rechtsprechung: Ein aktuelles (noch nicht rechtskräftiges) Urteil des LG Berlin (vom 15.01.2019, Az.: 15 O 60/18) im Rechtsstreit zwischen der RAK (Rechtsanwaltskammer) Berlin und dem Portal der Lexfox GmBH „wenigermiete.de“. Die RAK vertritt dort die Ansicht, dass „wenigermiete.de“ über die Inkassoerlaubnis hinaus unzulässige Rechtsdienstleistungen erbringe. Der LG Berlin urteilte demgegenüber, dass das Portal aufgrund seiner Inkassoerlaubnis insofern auch rechtsberatend tätig werden dürfe, sofern es eine „umfassende rechtliche Forderungsprüfung“, jedoch keine von der „Forderungseinziehung völlig losgelöste Rechtsberatung“ durchführe. Damit hat das LG Berlin die Pforte zur zulässigen Rechtsdienstleistung bzw. Inkassotätigkeit i.S.d. RDG für „Legal Tech-Inkassodienstleister“ noch weiter geöffnet. Doch der Instanzenzug ist noch nicht zu Ende ist: Eine endgültige Entscheidung steht weiter aus…

Forderung: Änderung des Rechtsdienstleistungsrechts

Angesichts der zahlreichen Ungereimtheiten werden immer mehr kritische Stimmen laut, das Rechtsdienstleistungsrecht den Legal Tech-Unternehmen anzupassen. So argumentiert der Bundesverband Deutsche Startups e.V., dass Legal-Tech-Unternehmen deswegen einen erhöhten Schutz erfahren sollen, da sie bei der Rechtsdurchsetzung das Kostenrisiko tragen und dem Rechtssuchenden lediglich bei einem erfolgreichen Verfahren eine Provision in Rechnung stellen (siehe Positionspapier). Zudem seien Abtretungsverbote, die Fluggesellschaften in ihren AGB vorsehen, gesetzlich zu verbieten: Fluggäste würden durch sie decouragiert, eigene Rechte mit Hilfe eines Legal-Tech-Unternehmen durchzusetzen.
Auch der Vorsitzender des BRAK-Ausschusses zum Rechtsdienstleistungsgesetz, Frank R. Remmertz, fordert eine gesetzliche Novellierung: Rechtssuchende müssten vor unqualifizierten Rechtsanbietern stärker geschützt werden. Daneben schlägt Remmertz vor, im RDG eine zulässige Rechtsdienstleistungsform für Legal-Tech-Unternehmen einzuführen: „Automatisierte Rechtsdienstleistungen, wenn dies als eigenständiges Geschäft betrieben wird“.

Ein Blick in die Zukunft

Der Konflikt zwischen Legal Tech und RDG ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Recht neuen Technologien oft hinterherhinkt und dadurch ein Bedürfnis entstehen kann, die gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Das ist jedoch nichts Neues…

Ob das RDG tatsächlich eine Änderung erfahren wird, hängt letztlich vom Gesetzgeber ab. Auch die Rechtsprechung wird weiter Einfluss auf die Auslegung der Normen im Rechtsdienstleistungsrecht nehmen. Vielleicht verstehen sich „Legal Tech“ und das Rechtsdienstleistungsrecht mit der Zeit wieder besser und retten ihre zerrüttete Ehe. Für Mandanten, die sich vor hohen Anwaltskosten scheuen, auf ihre Rechte jedoch nicht verzichten wollen, wäre das eine gute Nachricht.

 

Published under licence CC BY-NC-ND.

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  • Julius Remmers

    Julius Remmers promoviert bei Herrn Prof. Dr. Jan Eichelberger, LL.M.oec. an der Leibniz Universität Hannover. Den spezialisierten Master „LL.M. in Innovation, Technology and the Law“ hat er an der University of Edinburgh absolviert. Er ist zudem stellvertretender Geschäftsführer bei RAILS.

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Julius Remmers promoviert bei Herrn Prof. Dr. Jan Eichelberger, LL.M.oec. an der Leibniz Universität Hannover. Den spezialisierten Master „LL.M. in Innovation, Technology and the Law“ hat er an der University of Edinburgh absolviert. Er ist zudem stellvertretender Geschäftsführer bei RAILS.